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Nachfolgender Beitrag ist in der Wochenendausgabe vom 15./16.02.20 im Lohrer Echo erschienen: 
Gesellschaft: Das Netzwerk Soziale Gerechtigkeit setzt sich dafür ein, dass Bedürftige im Kreis Main-Spessart Rabatte beim ÖPNV bekommen

MAIN-SPESSART. Seit sechs Jahren setzt sich das Netzwerk Soziale Gerechtigkeit hinter den Kulissen dafür ein, dass der Kreis Main- Spessart Bedürftige mit einem Sozialpass unterstützt. Menschen, die Hartz IV oder Grundsicherung beziehen, sollen damit den öffentlichen Nahverkehr günstiger nutzen können. Das Netzwerk geht von rund 2800 Personen im Landkreis aus, die als Sozialpass-Empfänger infrage kommen. »Menschen mit geringem Einkommen werden von den Behörden oft auf den günstigeren Wohnraum in den ländlichen Gemeinden verwiesen, erhalten jedoch wenig zusätzliche Unterstützung, um mobil zu sein«, heißt es in einem Schreiben des Netzwerks an Landrat Thomas Schiebel aus dem Jahr 2014. Gerade im Flächenlandkreis Main-Spessart werde armen Menschen dadurch die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert, argumentieren die Wohlfahrtsverbände, die sich für den Sozialpass engagieren. Mit Caritas, Diakonie, Katholischer Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), Arbeiterwohlfahrt (Awo), Rotem Kreuz und Kreisjugendring hat sich eine breite Front gebildet, die das neue Hilfsangebot kreisweit einführen möchte. Bisher agierte das Netzwerk außerhalb der Öffentlichkeit, warb beim Landratsamt für seine Idee und besprach sie mit den Vorsitzenden der Kreistagsfraktionen. Allerdings ohne erkennbaren Erfolg: Das Landratsamt lehnte das Anliegen des Netzwerks mehrmals ab. Dabei argumentierte die Behörde vor allem mit zu hohen Kosten und wies auf mögliche Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz hin, die aus der Einführung des Sozialpasses resultieren könnten. »Nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlungen entstehen zwangsläufig immer an der Grenze zu dem Personenkreis, der zwar unabhängig von staatlichen Leistungen, aber gleichwohl in beengten finanziellen Verhältnissen lebt und somit nicht mehr in den Genuss der Vergünstigungen kommen würde«, schreibt Landrat Schiebel im März 2018. Werner Graus, der für das Netzwerk den Schriftwechsel mit der Behörde führt, lässt dieses Argument nicht gelten: In einer Pressekonferenz am Donnerstagabend in Lohr betonte der 68-Jährige, dass immer irgendwo eine Grenze gezogen werden müsse, an der es Härtefälle gebe. »Mit diesem Argument könnte man sich überhaupt nicht mehr für arme Menschen einsetzen«, sagte er. Bedarf veranschaulicht Verwundert reagierte das Netzwerk auch auf die Aussage des Landrats, dass es nicht Aufgabe der Kommunen sein könne, das bestehende Regelsatz-System des Bundes durch freiwillige Vergünstigungen aufzustocken. Michael Donath, Geschäftsführer des Diakonischen Werks Lohr und Leiter der Lohrer Tafel, stellte daraufhin die rhetorische Frage, »ob die Arbeit der Wohlfahrtsverbände unsinnig ist, weil der Bund das schon macht«. Das Netzwerk veranschaulichte, wie wenig Geld Hartz-IV-Empfänger vom Amt bekommen, um mobil zu sein. Ein Alleinstehender hat dafür monatlich rund 36 Euro zur Verfügung, ein junger Erwachsenen sogar nur knapp 29 Euro. Bei den regulären Preisen für Bus- und Zugtickets kommen Bedürftige, die in abgelegeneren Dörfern wohnen, damit nicht weit. Ein Erwachsener, der mit den Öffentlichen von Krommenthal zum Jobcenter nach Karlstadt fährt, zahlt bereits 12,70 Euro für die Tageskarte, rechnet das Netzwerk vor. »Leute, die außerhalb der Zentren wohnen, sind benachteiligt. Wir haben hier im Flächenlandkreis weite Strecken«, erläuterte der Awo-Kreisvorsitzende Karl- Heinz Ebert. Auch Gespräche mit den Fraktionsvorsitzenden im Kreistag brachten das Netzwerk seinem Ziel nicht näher. Gerlinde Smutny von der Caritas berichtete, dass man zwar von allen Zustimmung erfahren habe, sonst aber nicht viel passiert sei. An die Öffentlichkeit gegangen Mit der Pressekonferenz will das Netzwerk laut KAB-Referentin Sabine Schiedermair »ein bisschen öffentlichen Druck machen«. Florian Schüssler, der beim Roten Kreuz in Main-Spessart die sozialen Dienste leitet, findet, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um den Sozialpass einzuführen. Er begründet das damit, dass seit November 2019 der Landkreis wieder Träger des ÖPNV ist. Auch über die Frage, wer die Einkommensprüfung vornimmt, um zu ermitteln, wer Anspruch auf einen Sozialpass hat, hat sich das Netzwerk Gedanken gemacht. Da die Tafeln nur einen Teil der Bedürftigen erreichen, weil einige aus Scham oder weil sie zu weit weg wohnen, nicht dorthin kommen, hält es Schüssler für am sinnvollsten, dass der Kreis die Finanzen der Antragsteller prüft. Das Netzwerk hofft, den Sozialpass nach seiner Einführung mit weiteren Vergünstigungen ausbauen zu können. Rabatte bei Schwimmbad- und Museumsbesuchen, bei Vereinsmitgliedschaften oder in der Bücherei schweben den Wohlfahrtsverbänden vor. Florian Schüssler verweist auf die Ehrenamtskarte. »Sie hat uns gezeigt, dass da sehr viel geht. Kommunen und Vereine geben gerne Vergünstigungen«, betonte der 37-Jährige. Landratsamt will Rabatte prüfen Im Januar bekam das Netzwerk erneut Post aus dem Landratsamt: Thomas Schiebel informierte, dass derzeit »Optionen für Vergünstigungen im ÖPNV geprüft werden «. Auch Gespräche mit den Partnern im Verkehrsverbund Mainfranken kündigte er an. Eventuell kommt doch noch Bewegung in das Thema – der Bewegungsfreiheit bedürftiger Menschen Kreis käme das zugute.

Redakteur: Boris Dauber, Lohrer Echo

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