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Caritas macht auf eklatante Versorgungslücke im Kreis aufmerksam – 16-Jähriger wartet auf Entgiftung

Ein drogenabhängiger16-Jähriger aus dem Landkreis wendet sich mit seinen Eltern hilfesuchend an die Caritas-Suchtberatung in Lohr. Er sieht keinen Ausweg mehr aus seiner Sucht und möchte schnellstmöglich eine Therapie beginnen, die vorab mit einer Entgiftung einhergehen müsste. Sozialarbeiter Oliver Schneider, Mitarbeiter der Caritas-Suchtberatung, nimmt sich des Falles an und kann nach unzähligen Telefonaten nicht glauben, dass die Vermittlung an einen Entgiftungsplatz für seinen Probanden in Unterfranken nicht möglich ist.

Um über diesen Missstand zu informieren, luden die Geschäftsführerin der Caritas, Gabriele Kimmel, und Schneider nun zum Pressegespräch in ihre Geschäftsstelle nach Lohr ein. Niederschmetterndes Ergebnis »Wir kommen einfach nicht weiter «, sagt Schneider. Eine wochenlange Odyssee liegt hinter ihm. Auch der Hausarzt des Jugendlichen habe immer wieder versucht, einen Platz für seinen Patienten zu finden. Das Ergebnis sei niederschmetternd.
Der junge Mann hängt in einer monatelangen Warteschleife. Normalerweise seien die Bezirkskrankenhäuser (BKH) in Werneck und Lohr zur Aufnahme bei Entgiftungen verpflichtet, jedoch richtet sich der Versorgungsauftrag an Volljährige. Wie Schneider mitteilt, sei auch mit dem ärztlichen Leiter des Lohrer BKH ein Austausch erfolgt. Domenikus Bönsch sei mit der ihm bekannten Problematik ebenso unzufrieden. Vereinzelt könnten dort zwar 17-Jährige aufgenommen werden, für eine Behandlung Minderjähriger sei die Klinik jedoch – ebenso wie Werneck – nicht ausgelegt.
In einer Stellungnahme teilte der stellvertretende Pressesprecher des Bezirks Unterfranken, Florian Hiller, mit, dass »eine Entgiftung bei einem Jugendlichen ohne psychische Nebenerkrankung jedes Akutkrankenhaus mit internistischer Fachabteilung durchführen« könne. »Dies ist keinesfalls der Auftrag des Bezirks. « Sofern zusätzlich eine psychische Erkrankung vorliege, so Hiller weiter, könne die Entgiftung in der Intensiveinheit der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Würzburg erfolgen. »Das Konzept für eine nachhaltige kinderund jugendpsychiatrische Versorgung in Unterfranken geht davon aus«, heißt es weiter, »dass die Unterbringung von Jugendlichen in erwachsenenpsychiatrischen Einheiten von der Politik, von den beteiligten Fachärzten sowie von den Patientenfamilien als inakzeptabel wahrgenommen wird und kein adäquates therapeutisches Milieu darstellt«. Dies sei der Grund, warum in den Bezirkskrankenhäusern keine Minderjährigen aufgenommen werden können. Auch Bönsch sieht die Kinderund Jugendpsychiatrie in Würzburg in der Pflicht. Diese würde jedoch drogenabhängige Minderjährige nur aufnehmen, wenn eine psychische Erkrankung im Vordergrund stehe, erklärt Schneider. Eine reine Entgiftung würde abgelehnt. Komplexe Fälle Deren Leiter, Professor Marcel Romanos, äußert auf Anfrage der Redaktion, dass es »tatsächlich nur sehr, sehr selten Anfragen zur Entgiftung« für seine Klinik gäbe. Bei komplexen Fällen sehe er einen Sinn, »dass dies in spezialisierten Suchtkliniken erfolgt, die grundsätzlich überregional aufnehmen «. »Zudem wäre dort im Anschluss eine qualifizierte Entwöhnungsbehandlung möglich, was nur in Spezialkliniken vorgehalten wird.« Eine eigene Entgiftungsstation für Jugendliche sei aus der Sicht von Romanos kaum realisierbar und »ist auch für Unterfranken wahrscheinlich nicht sinnvoll«. Anders sieht dies Holger Faust, Leiter der Jugend- und Drogenberatung in Würzburg. Von etwa zehn Fällen pro Jahr in seinem Zuständigkeitsbereich, die stationär behandelt werden müssten, berichtet der Sozialarbeiter im Gespräch mit der Redaktion. Diese unterzubringen, sei eine »schwierige Aufgabe«, bestätigt er. Fünf Plätze sollten für Unterfranken seiner Meinung nach dauerhaft zu Verfügung stehen. Faust sieht auch die Krankenkassen in der Verantwortung, die Problematik der Versorgungslücke zu publizieren. »Am besten aufgehoben sind Minderjährige zu einer Entgiftung in der Kinderund Jugendpsychiatrie«, so Faust. Schneider und Kimmel von der Caritas sind sich indes einig, dass ein schnelles Einschreiten und Handeln in der Arbeit mit Jugendlichen unerlässlich ist. Kimmel sieht im Landkreis eine große Versorgungslücke, wenn Jugendliche keinen Ansprechpartner haben. »Auch für die Eltern bedeutet das eine Hilflosigkeit, wenn sie nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen«, so Kimmel. Einzige Option Wenn die Hürden nicht so hoch liegen würden, ist sich Kimmel sicher, könnten viel mehr Minderjährige freiwillig eine Entgiftung vornehmen. Als einzige Option sieht Schneider jetzt die Vermittlung seines Probanden an eine Spezialklinik in Baden-Württemberg, deren Wartezeit sich auf drei Monate belaufe. »Wir können die Motivation für einen Entzug kaum über Monate hinweg aufrechterhalten«, ergänzt der Sozialarbeiter, der nach wie vor in regelmäßigem und engem Kontakt mit den betroffenen Eltern und dem Jugendlichen steht. »Wenn wir eine zeitnahe Entgiftung ermöglichen könnten«, führt Schneider abschließend aus, »könnten wir auch vorbeugen«. Geschehe dies nicht umgehend, sei oftmals eine lebenslange Suchterkrankung die Folge. Dass ein Minderjähriger auch auf einer internistischen Klinik, wie Florian Hiller ausführt, entgiftet werden könnte, sehe in der Praxis anders aus, weiß Holger Faust.

Lohrer Echo, Frank Zagel

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