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Caritas-Flüchtlingsberaterin Anna-Lena Stula im Interview – Es sind katastrophale Szenen, die der Familenvater Naqeebullah Sutlani auf seinem Handy an der iranisch-türkischen Grenze festgehalten hat. Flüchtlinge knien mit nacktem Oberkörper auf dem Boden, dazwischen bewaffnete iranische Soldaten. Irgendwo in diesem Tumult verlor die Familie Sultani, die von Afghanistan in den Westen flüchten wollte, ihren ältesten Sohn Hamed. Dass die Großfamilie seit voriger Woche in Marktheidenfeld wieder mit dem 14-jährigen Hamed vereint ist, ist vor allem einer Frau zu verdanken: derFlüchtlingsberaterin Anna-Lena Stula von der Caritas.

Ein normaler Mittwochnachmittag für die 28-jährige Flüchtlingsberaterin, Sprechstunde in der Gemeinschaftsunterkunft Marktheidenfeld: Vor ihrem Büro stehen die Asylbewerber Schlange. Jeder hat einen Packen Formulare in der Hand, jeder ein anderes Anliegen. Stula übersetzt, hilft beim Ausfüllen von Anträgen, hört sich Sorgen und Nöte an, fungiert als Bindeglied zwischen den Behörden und den Asylbewerbern. Das ist nicht einfach.

Viel Zeit für Ärztevermittlung
Fast ein Drittel ihrer Vollzeitstelle verwendet sie derzeit auf die Vermittlung zu Ärzten. Für den Besuch von Hausärzten, Kinderärzten und Zahnärzten muss das Landratsamt Quartalsscheine ausgeben. Für Fachärzte braucht es zudem eine Genehmigung vom Gesundheitsamt. Bis ein Hausarzt den Bedart für einen Facharztbesuch festgestellt hat, die Formulare vom Landratsamt über das Gesundheitsamt und zurück letztendlich beim Patienten eintreffen, kann es Wochen dauern.
Noch schlimmer wird es, wenn ein Dolmetscher benötigt wird. "Das Landratsamt geht sehr restriktiv mit den Asylbewerberleistungsgesetzen um", sagt Stula, die froh ist über jede Hilfe aus dem Marktheidenfelder Helferkreis. Die Ehrenamtlichen begleiten Flüchtlinge zu Ärzten, die Kinder in die Schulen oder Kindergärten.

Rückkehr keine Perspektive
"Hier ist der Bedarf sehr groß. 16 Kinder warten derzeit auf Kindergartenplätze", erklärt Stula. Von der Ankunft bis zur Anerkennung - oder Abschiebung - beleitet sie die Flüchtlinge in der Gemeinschaftsunterkunft. Von den derzeit 130 hier lebenden Personen stammt der überwiegende Teil aus Afghanistan, einige aus Syrien und Äthiopien. Während die Syrer gute Bleibechancen haben, stehen für die meisten Afghanen die Chancen auf eine Anerkennung als Flüchtling schlecht.
So sitzt die Flüchtlingsberaterin oft zwischen den Stühlen. "Für die meinsten ist eine Rückkehr keine Perspektive. Viele haben zerrissene Biografien, waren schon mehrfach aus Afghanistan in den Iran geflüchtet, von da schließlich in den Westen", sagt Stula. Nun muss sie ihnen erklären, dass es sinnvoller sei,  das noch vorhandene Geld für einen Neuanfang in ihrem Heimatland zu nutzen, anstatt eine wahrscheinlich sinnlose Klage gegen den negativen Asylbescheid anzustreben.

Mangelhafte Kommunikation
Eine gelungene Familienzusammenführung, wie die der Familie Sultani ist deswegen selbst für eine Flüchtlingsberaterin wie Stula ein herausragendes Ereignis. Monatelang hat sie zwischen den verschiedenen Behörden vermittelt, um den 14-jährigen Hamed aus einer Kindernothilfeeinrichtung in Krefeld nach Marktheidenfeld zu holen.
"Da tauchen Probleme auf, die selbst ich nicht mehr verstehe. Wie sollte das ein Flüchtling verstehen?", sagt Stula. So konnte Hamed nicht von NRW umverteilt werden, weil er noch keinen Asylantrag gestellt hatte. Einen Asylantrag konnte er aber nicht stellen, weil dafür seine Eltern zuständig waren. Und die waren nun einmal in Marktheidenfeld. Es fehlten Unterlagen vom Jugendamt, die Kommunikation zischen Bundesamt und Regierungsaufnahmestelle lief nur schleppend und plötzlich war eine Sachbearbeiterin weg, die den Fall schon Monate beleitet hatte.

Sohn auf der Flucht verloren 
Sechs Monate brauchte Stula, um den 14-jährigen nach Marktheidenfeld zu holen. Die Familie, die einen nationalen Abschiebeschutz für ein Jahr hat, ist einfach nur froh und dankbar. "Es war die schlimmste Zeit, als wir nicht wussten, wo Hamed ist", erzählt die Mutter Maryam Sediqi.
Mit einem Schleuser hatte es Hamed auf ein Boot von der Türkei nach Griechenland geschafft, dann über die Balkanroute und Österreich nach Deutschland. Mit dem Zug fuhr er von Passau nach Düsseldorf, wo ein Cousin der Mutter seit sieben Jahren lebt. Dort kam der 14-jährige in eine Kindernothilfeeinrichtung. Erst zwei Monate nach ihm kamen auch seine Eltern, seine Geschwister und seine Oma in Deutschland an.
"Einmal konnten wir telefonieren, als meine Eltern noch in der Türkei waren. Da konnte ich ihnen sagen, dass es mir gut geht", erzählt Hamed. Zwölf Jahre habe er mit seiner Familie im Iran gelebt. Dort seien sie als sunnitische Muslime aus Afghanistan diskriminiert worden. "Keine gute Schule für die Kinder, der jüngste Sohn durfte nicht mal Fußball spielen", berichtet die Mutter. Nach zwölf Jahren seien sie wieder zurück nach Afghanistan gegangen. "Dort mussten wir dann vor den Taliban fliehen", sagt Hamed. In Deutschland erhofft sich die Familie ein besseres Leben, vor allem für die Kinder.
Hamed und seine Schwester Sahar gehen inzwischen auf die Mittelschule in eine Regelklasse, der jüngste Sohn Khalid spielt im Fußballverein. Der größte Wunsch des Vaters: bald eine Arbeit zu finden und ein dauerhaftes Bleiberecht zu bekommen.

Bianca Löbbert, Main-Echo 

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